Ringvorlesung Algorithmen und Muster – Strukturen in der Sprache
Duration: 15.04.–15.07.2009Location: FU Berlin Habelschwerdter Alle 45, Lecture Hall 1b
Time: Wednesday: 17:59–19:30
Objective
Es herrscht seit jeher Konsens in vielen Wissensbereichen, dass der Mensch sich hauptsächlich durch seine Sprache von anderen Lebensformen unterscheidet, wobei neben der Fähigkeit, lautliche, gestische und schriftliche Zeichen als Symbole zu verwenden und eine Vielzahl hiervon zu speichern, der Fähigkeit zur komplexen Grammatik eine entscheidende Bedeutung zukommt. Die Grammatiken aller menschlichen Sprachen scheinen einem bestimmten Typus zu entsprechen, dessen genaue Beschaffenheit allerdings in der Linguistik und verwandten Bereichen kontrovers diskutiert wird. Auf jeden Fall haben neuere verhaltensbiologische Forschungen gezeigt, dass (im Gegensatz zum Wortschatz, der von anderen Tierarten wenn auch numerisch begrenzt lernbar ist) bestimmte Bereiche der Grammatik (insbesondere Syntax) selbst von nächsten Verwandten des Menschen nicht erworben bzw. verarbeitet werden können. Beobachtungen dieser Art begründen einen interdisziplinären Ansatz, der heutzutage oft als Biolinguistik bezeichnet wird und außer der theoretischen Sprachwissenschaft und Sprachphilosophie u.a. folgende Bereiche umfasst: die Neurologie, die Psychologie, die Spracherwerbsforschung, die Gebärdensprachenforschung, die Sprachpathologie, die Computerlinguistik, die Genetik.
Trotz der gerade nach der kognitiven Wende ab dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts intensiv
betriebenen Forschung ist es bisher nicht gelungen, die Eigenschaften und somit auch den Erwerb und
die Verarbeitung menschlicher Grammatik zufriedenstellend zu erklären. Insbesondere die generativen
Theorien Noam Chomskys, der durch seine Annahme eines (angeborenen) Regelwerks die kognitive
Wende maßgeblich mitbegründet hat, werden seit einigen Jahren wieder verstärkt in Frage
gestellt. Die sogenannte Konstruktionsgrammatik stellt gerade die Hauptthese der generativen
Grammatik in Frage, und geht davon aus, dass es sich bei der Grammatikverarbeitung nicht um
Regelwissen handelt, sondern um den Erwerb relativ fester Muster, wie man sie traditionell für den
Wortschatz annimmt. Somit werden aber auch die o.g. interdisziplinären Bereiche davon bestimmt, ob
sie einen generativen bzw. regelgeleiteten oder einen musterbasierten Ansatz zugrunde legen. Die
beiden involvierten Richtungen werden in aller Regel unabhängig voneinander betrieben und
kommunizieren nur selten miteinander. Die von uns geplante Forschungsverbundinitiative möchte genau
diesem Manko entgegenwirken, indem die generative Grammatik und die Konstruktionsgrammatik explizit
miteinander verglichen wird und die Vor- und Nachteile beider Richtungen anhand von
sprachvergleichenden Analysen und interdisziplinären Forschungen offengelegt werden sollen.
Program
15.04. | Mensching/Müller | Introduction |
22.04. | Prof. Dr. Richard Kayne | Toward an Analysis of French Hyper-Complex Inversion |
29.04. | Mensching/Müller | Discussion |
06.05. | Prof. Dr. Anatol Stefanowitsch | Keine Grammatik ohne Konstruktionen |
13.05. | Prof. Dr. Helen Leuninger | Lexikalischer Zugriff in zwei Schritten: Evidenz aus der Gebärdensprache |
20.05. | Prof. Dr. Gereon Müller | Es gibt keine Konstruktionen |
25.05. | Prof. Dr. Adele Goldberg (Princton University) | Items and Generalizations |
25.05. | Prof. Dr. Michael Tomasello (MPI Leipzig) | Where does grammar come from? |
27.05. | Prof. Dr. Luís López (University of Illinios at Chicago) | The configuration of Differential Object Marking |
03.06. | Prof. Dr. Gisbert Fanselow (Universität Potsdam) | Dr. Jekyll's Universalienzoo: Gespaltene Verben und Nominalphrasen |
10.06. | Prof. Dr. Luc Steels (Vrije Universiteit Brüssel, Sony Computer Science Laboratory) | Modeling the origins and evolution of language |
17.06. | Prof. Dr. Frank van Eynde (Universiteit Leuven) | TBA |
24.06. | Prof. Dr. Gert Webelhuth (Universität Göttingen) | Und es gibt sie doch! Zur Notwendigkeit von Konstruktionen |
01.07. | Prof. Dr. Jürgen Meisel (Universität Hamburg & Universität Calgary) | Unterschiede (und Gemeinsamkeiten) beim Erst- und Zweitspracherwerb: Evidenz für grammatisches Wissen und sprachspezifische Verarbeitungsprozeduren |
08.07. | Prof. Dr. Ivan Sag (Stanford University) | Capturing cross-constructional generalizations |
15.07. | Prof. Dr. Guido Mensching (FU Berlin) Prof. Dr. Stefan Müller (FU Berlin) | Final Discussion |
Slides
- einführende Folien, Version vom: 04.05.2016
- Folien der Vortragenden
Literature
- Papers and books for the lecture:
- Jacobs, Joachim (2008), Wozu Konstruktionen?, Linguistische Berichte, 213, 3–44.
- Klenk, Ursula (2003), Generative Syntax, Tübingen: Gunter Narr Verlag, Narr Studienbücher.
- Müller, Stefan (Erscheint 2009). Grammatiktheorie. Stauffenburg Einführungen Nr. , Tübingen: Stauffenburg Verlag.
- Special papers mentioned during the discussion:
- Zum Spracherwerb und Poverty of the Stimulus:
- Bod, Rens (Im Druck), From Exemplar to Grammar: Integrating Analogy and Probability in Language Learning, Cognitive Science, 33(4).
- zu Scrambling (lokaler Umstellung von Konstituenten):
- Fanselow, Gisbert (2001), Features, θ-Roles, and Free Constituent Order, Linguistic Inquiry, 32(3), 405–437.
- Fanselow, Gisbert (2003a), Free Constituent Order: A Minimalist Interface Account, Folia Linguistica, 37(1–2), 191–231.
- Zum Spracherwerb und Poverty of the Stimulus: